Die Relevanz der Dramapädagogik für eine performative Fremdsprachendidaktik
1. Einleitung
„Erzähle mir und ich vergesse. Zeige mir und ich erinnere mich. Lass es mich tun und ich verstehe“ (Konfuzius, chinesischer Philosoph 551-479 v.Chr.).
Lernen mit allen Sinnen ist unabdingbar, um effektiv lernen zu können – nicht nur Konfuzius wusste dies bereits, auch in Pestalozzis bekannter Formel „Lernen mit Kopf, Herz und Hand“ wird dieser Gedanke sichtbar. In der Fremdsprachendidaktik wird bereits seit einigen Jahren eine Lernkultur gefordert, die sich an diesem Gedanken orientiert und nicht nur kognitive Komponenten, sondern auch emotionale, soziale und ästhetische berücksichtigt (vgl. Kriechbaumer 2014, S.2). Im Beitrag von Manfred Schewe (2011) mit dem Titel „Die Welt auch im
fremdsprachlichen Unterricht immer wieder neu verzaubern – Plädoyer für eine performative Lehr- und Lernkultur!“ weist er darauf hin, dass es für den Lernprozess von entscheidender Bedeutung sein kann, den gesamten Körper miteinzubeziehen und spricht in diesem Zusammenhang auch davon, dass diese Erkenntnis für eine performative Fremdsprachendidaktik eine große Rolle spielt, im Unterricht bisher aber noch zu wenig genutzt wird. (vgl. Schewe 2011, S.21) Die Dramapädagogik, ein Ansatz, „der den Begriff der Performativität in enger Auslegung umsetzt“ (Bonnet u.a., S.44) und damit auch den Aspekt der Körperlichkeit, wird von Schewe als „Wegbereiterin einer performativen Fremdsprachendidaktik“ (Schewe 2013, S.21) bezeichnet. Somit liegt die Vermutung nahe, dass dramapädagogische Methoden in Hinblick auf einen performativen Fremdsprachenunterricht maßgeblich beteiligt sein können.
Die folgende theoretische Seminararbeit beschäftigt sich nun genauer mit der bisherigen Entwicklung einer performativen Fremdsprachendidaktik, mit besonderem Fokus auf die Dramapädagogik als Wegbereiterin in diesem Bereich. Die Forschungsfrage, die für diese Arbeit leitend ist, lautet daher: Inwiefern hat die Dramapädagogik zur bisherigen Entwicklung einer performativen Fremdsprachendidaktik beigetragen? Anhand ausgewählter Literatur im Besonderen von Manfred Schewe (1993, 2007, 2012, 2013) und Wolfgang Hallet (2015) wird es das Ziel sein, herauszuarbeiten, inwieweit die Dramapädagogik in den letzten Jahren bereits einen bedeutenden Teil zu einer handlungsorientierten und performativen Fremdsprachendidaktik geleistet hat. Methodisch lehnt sich die Ausarbeitung dabei an den hermeneutischen Grunderkenntnissen nach Wolfgang Klafki (1971) an.
Auf dem Weg hin zur Beantwortung der Forschungsfrage wird im nächsten Kapitel zuerst der Begriff der Dramapädagogik näher erläutert und deren Kennzeichen dargestellt (vgl. Kapitel 2). Die Frage, was unter Performativität und in Folge unter performativer Kompetenz zu verstehen ist, wie sich diese mit der Fremdsprachendidaktik verbinden lässt und welche diese für den Unterricht und Lehrer/innen, sowie Schüler/innen spielt, soll im nächsten Kapitel beantwortet werden (vgl. Kapitel 3). Im darauffolgenden Abschnitt liegt der Fokus auf der Dramapädagogik als Wegbereiterin einer performativen Fremdsprachendidaktik und soll vor allem historische Meilensteine seit 1970 bis heute darstellen. Letztlich soll daraus der Bedeutungszuwachs von dramapädagogischem Lehren und Lernen im Laufe der Zeit ersichtlich werden (vgl. Kapitel 4). Abschließend werden Erkenntnisse zusammengefasst, die Forschungsfrage beantwortet und ein Ausblick gegeben, inwiefern weitere Forschung anschließen könnte (vgl. Kapitel 5).
2. Die Dramapädagogik – Begriffsbestimmung, Kennzeichen und Ziele
Im deutschen Duden wird der Begriff Drama neben der Bedeutung Schauspiel und Bühnenstück auch als aufregendes, erschütterndes und trauriges Geschehen erklärt. (vgl. Duden Online) Die Grundbedeutung des Wortes Drama kommt allerdings aus dem Griechischen und hat mit der Bedeutung aus dem Duden nichts gemeinsam, sondern bedeutet so viel wie „handeln“. Die Dramapädagogik versteht sich somit als handlungsorientierte Lehr- und Lernmethode, die sich an Elementen aus dem Theater und des Schauspielens orientiert. Ziel sind dabei pädagogische Absichten, um didaktische Ziele zu erreichen - anders als beim professionellen Theater, wo die Kunstform selbst im Mittelpunkt steht. Am Ende einer dramapädagogischen Einheit muss also nicht zwingend eine Aufführung stehen, das Ziel ist vielmehr die Erkenntnis, die aus dem Prozess gewonnen wird.(vgl. Bonnet / Küppers, 2011, S.41) Im Vordergrund steht daher das Spiel selbst und das experimentelle Handeln, durch das es den Lernenden ermöglicht wird, in der (Inter-)Aktion Neues auszuprobieren und im Anschluss in der Gruppe und auch individuell Erkenntnisse zu reflektieren. Die Methoden und Übungen, die im dramapädagogischen Unterricht zum Einsatz kommen können, sind dabei sehr vielfältig: Sie reichen von Gruppenspielen in Bewegung und Übungen für Körper, Stimme und Spielfähigkeit, über Aktivitäten, die nonverbale oder pantomimische Elemente enthalten können, bis hin zur Inszenierung von Stücken oder Teilen daraus. Oftmals kommen auch neue Medien zum Einsatz, wodurch eine ästhetische Umsetzung durch die Lernenden möglich wird. (vgl. Hallet et al 2015, S. 320 f.)
Ein bedeutendes Merkmal aller Methoden aus der Dramapädagogik ist dabei die „as-if“-Einstellung. Das heißt, die Lernenden verlassen die reale Wirklichkeit und lassen sich auf eine fiktive Wirklichkeit ein. (vgl. Bonnet / Küppers, 2011, S.41) Es geht also darum, innerhalb der Lern-Welt der SchülerInnen eine Wirklichkeit zu schaffen, in der sie sich in andere Rollen und Sichtweisen hineinversetzen und in dieser „Als-ob“-Situation sprachlich spontan handeln und sich ausprobieren können. Zwar können hier auch schauspielerische Fähigkeiten entwickelt werden, diese sind aber nicht das vorrangige Ziel, wie anfangs in diesem Kapitel bereits erwähnt wurde. Vielmehr werden von den Lernenden Problemlösungsstrategien entwickelt, kommunikative Kompetenzen gefördert und die Fähigkeit zur Reflexion und zum kritischen Denken erweitert. (vgl. ebd.) Dieser Annahme der AutorInnen zu Folge könnte der Eindruck entstehen, dass der Ansatz der Dramapädagogik instrumentalisierbar wäre. Ulrike Hentschel (2008) geht genau darauf kritisch ein, indem sie darauf hinweist, „dass die (…) bildenden Wirkungen nicht ohne Risiken und Nebenwirkungen zu haben sind“ und damit die Gefahr einer Instrumentalisierung der Theaterarbeit in der Pädagogik sieht, indem diese nur auf das Methodische reduziert wird, um Ziele wie die Entwicklung der genannten Fähigkeiten und Kompetenzen zu erreichen. (vgl. Hentschel 2008, S. 82 f.) Dieser Einwand von Hentschel könnte in Hinblick auf weitere Forschung, eine Grundlage für Diskussionen um die Wirkungsweisen von Dramapädagogik darstellen.
Als weiteres wichtiges Kennzeichen, das Anastasia Moraitis (2003) beschreibt, soll an dieser Stelle auch noch die offene Struktur einer dramapädagogischen Arbeitsweise genannt werden. Ein Bild oder ein Text kann beispielsweise die Grundlage für die Handlungssituation der Lernenden darstellen. Moraitis sieht die Dramapädagogik in diesem Zusammenhang als einen Ansatz, der sich als Prozess versteht, bei dem der dynamische Lernprozess selbst das Ziel ist. (vgl. Moraitis 2003, S.2)
Um all die Kennzeichen, die bisher in diesem Kapitel genannt wurden und den Ansatz der Dramapädagogik ausmachen, zu veranschaulichen, soll im Weiteren das Beispiel aus dem fremdsprachlichen Deutschunterricht von Schewe zitiert werden. Anhand dieses Beispiels wird auch der Unterschied zwischen einem dramapädagogischen Unterricht und einem Unterricht, der ausschließlich aus einem Gespräch zwischen LehrerInnen und SchülerInnen besteht, verdeutlicht:
„Denn ob beispielsweise im fremdsprachlichen Deutschunterricht anhand eines Lehrbuchtextes ausschließlich ein Unterrichtsgespräch über die Situation von DDR-Grenzsoldaten geführt wird oder aber ein Schüler sich in die Figur eines DDR-Soldaten einfühlt, diesen verkörpert und sich dann durch zwei Reihen von Mitschülern bewegt, die ihn als seine innere Stimmen dazu ermutigen, die Flucht in den Westen zu wagen oder ihn davon abzuhalten versuchen, ist ein großer Unterschied. Der Grad der inneren Bewegung des Schülers wird hoch sein, während er auf die jeweilige Stimme reagiert, indem er etwa einen Fuß vorsichtig nach vorne setzt, vielleicht plötzlich wieder zu einer Kehrtwendung ansetzt, dann wieder nach vorne drängt usw. Es entsteht dabei ein (Körper-) Bewusstsein vom Hin- und Hergerissen-Sein und vom großen persönlichen Dilemma, in dem sich dieser Soldat befindet“ (Hallet et al 2015, S. 31).
Diesem Unterrichtsbeispiel zufolge und rückblickend auf dieses Kapitel, kann nun gesagt werden, dass der Ansatz der Dramapädagogik ein Lehr- und Lernkonzept darstellt, das den gesamten Körper, sowie auch Emotionen, Soziales und Ästhetik miteinbezieht – alles Aspekte, die auf ein performatives Potenzial schließen lassen. (vgl. Bonnet et al 2011, S. 44) In Hinblick auf die Forschungsfrage und nach dieser ersten Auseinandersetzung mit dem Konzept der Dramapädagogik, soll im nächsten Kapitel genauer auf den Begriff der Performativität und im Besonderen auf den Ausdruck der ‚performativen Kompetenz‘ eingegangen werden und somit die Frage geklärt werden, um welche Fähigkeit es sich hierbei genau handelt, wenn von „Kompetenz“ gesprochen wird.
3. Performative Kompetenz und Fremdsprachenunterricht
„Performativ“ - dieser Begriff findet im Theater, im Bereich Tanz und den bildenden Künsten bereits seit mehr als 50 Jahren Verwendung. Im Englischen wird ‚Performance‘ mit ‚Aufführung‘ übersetzt, heute findet dieser Begriff aber bereits in fast allen gesellschaftlichen Bereichen Verwendung. Vor allem geprägt wurde dieser Ausdruck durch John Langshaw Austins Sprechakttheorie, welche von Sprechhandlungen und damit von einem Zusammenhang von Sprechen und Handeln ausgeht. Eine Sprechhandlung wird demnach als performativ bezeichnet, wenn das gesprochene Wort ausgeführt oder konkretisiert wird. (vgl. Austin 1989) „Performativ“ in Verbindung zum Fremdsprachenunterricht wurde lange Zeit rein sprachwissenschaftlich erklärt und der Bereich der Künste dabei völlig außer Acht gelassen. (vgl. Hallet 2010) Die Diskussion um die Begriffsbestimmung in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht erfuhr erst eine Wende durch Vorschläge von Wolfgang Hallet (2010). Der Begriff der ‚performativen Kompetenz‘ wurde von ihm erstmals bildungstheoretisch erwähnt. Hallet geht dabei von der Theatralität und Performativität aller Alltagshandlungen (auch im Unterricht) aus und sieht den Fremdsprachenunterricht als eine besondere Form inszenierter Wirklichkeit. Die Fiktionalität aller Äußerungen im Fremdsprachenunterricht ist ein bestimmendes Merkmal dieser inszenierten Wirklichkeit. (vgl. ebd 2010) Das heißt, wann immer sich die Lernenden im Unterricht in der Fremdsprache unterhalten, tun sie so, als wäre es eine alltägliche Unterhaltung. (vgl. Schewe 2007, S.127) Hallet schließt daraus, dass der Fremdsprachenunterricht auch ohne dramapädagogische Arbeitsformen eine Bühne darstellt, nämlich auf der Ebene der Kommunikationsform Unterricht, auf der ein diskursiv-soziales Spiel inszeniert wird. (vgl. Hallet 2010) Die Fähigkeit, um dieses ‚Spiel‘ aufrechtzuerhalten – von Lehrenden und Lernenden – ist die performative Kompetenz, welche im Folgenden noch genauer erläutert werden soll. Dazu soll an dieser Stelle aus Hallets Beitrag zur performativen Kompetenz zitiert werden:
„Wenn kulturelles Handeln Merkmale der Dramatizität und der Theatralität aufweist, so muss es auf Seiten der Akteure auch eine – Kompetenz genannte – kognitive Disposition und kognitive Strukturen geben, die das Handeln in solchen Situationen steuern. Erst eine solche performative Kompetenz ermöglicht den an sozialer Interaktion beteiligten Aktanten regelgeleitetes, strukturiertes soziales Handeln (also 'Performanz') (…)“ (Hallet 2010, S.5).
Der Unterricht als Bühne und die (Inter-) Aktion, die dort geschieht – ob nun mit oder ohne dramapädagogische Elemente – kann also nur durch die Fähigkeit, das eigene Handeln in den jeweiligen Unterrichtssituationen zu steuern, funktionieren. Performative Kompetenz im Fremdsprachenunterricht ist für Hallet außerdem eine Fähigkeit, die es ermöglicht aktiv, verantwortungsvoll und partnerschaftlich an sozialen Interaktionen teilzunehmen. Es bedeutet auch, dass sowohl Lehrende, als auch Lernende zwischen zwei Wirklichkeitsebenen unterscheiden können und sich kritisch mit den Inszenierungen auseinandersetzen können. Viele Spielformen aus der Dramapädagogik orientieren sich an realen Lebenssituation, die damit nicht nur allgemeine sprachliche und kommunikative, sondern auch performative Fähigkeiten ausbilden können. Alle Teilnehmenden des Fremdsprachenunterrichts befinden sich somit immer in zwei Welten: Im Fremdsprachenunterricht selbst und in der realen Welt. Durch den Doppelcharakter eines szenischen Spiels oder Rollenspiels werden damit immer Kompetenzen für beide Welten ausgebildet. (vgl. Hallet 2010, S.5 f.) Das Ziel von Performativität wird bei Bonnet und Küppers (2011) so beschrieben: „Im Kern zielt die Performativität damit auf das soziale Ereignis, den Prozess, die emotionale Wirkung und mentale Transformation und nicht auf das Kunstwerk, Produkt oder den Text“ (Bonnet et al 2011, S. 33). Verglichen mit den Merkmalen und Zielen der Dramapädagogik, wie sie bereits im vorhergehenden Kapitel beschrieben wurden, lässt sich an diesem Zitat nochmals verstärkt ihr performatives Potenzial erkennen – nämlich vor allem dadurch, dass in der Dramapädagogik ebenfalls der Prozess an sich im Mittelpunkt steht und nicht beispielsweise eine Aufführung eines Stückes.
Nachdem nun Begriffe, die in Bezug auf die Beantwortung der Forschungsfrage von Bedeutung sind, genauer bestimmt wurden und deren Ziele erläutert wurden, soll es in Kapitel 4 letztlich um eine Darstellung der Dramapädagogik in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik gehen und damit - im Hinblick auf die Forschungsfrage – ihre Wichtigkeit für die Annäherung an eine performative Fremdsprachendidaktik im Laufe der Jahre, ersichtlich werden.
4. Die Dramapädagogik als Wegbereiterin einer performativen Fremdsprachendidaktik
4.1. Die Anfänge der Dramapädagogik im Unterricht
„All the world’s a stage. And all the men and women, merely players. They have their exits and their entrances. And one man in his time plays many parts“ (aus Shakespeares Drama ‚As you like it‘ ca. 1599).
Bereits im Monolog aus Shakespeares Drama heißt es, dass die Welt eine Bühne ist, in der alle Menschen Schauspieler sind und verschiedene Rollen spielen. Diese Idee, nämlich „das Leben als Spiel bzw. durch das Spiel auch das Leben besser zu begreifen“ (Hallet u.a. 2015, S21), existiert bereits seit der Antike im Kulturbereich Europas und seither beschäftigt sich die dramatische Kunst auch mit den Grundfragen, den Grenzen und den Möglichkeiten menschlicher Existenz. Das Leben besser begreifen zu können und wertvolle Fähigkeiten für den Bildungsweg zu entwickeln - auch dafür wurde die dramatische Kunstform schon sehr früh genutzt. So sollten Kinder bei Platon beispielsweise „möglichst ohne Zwang und in einer spielerischen Weise lernen“, während für Quintilian (ca.35-97 v.Chr.) Schauspieler als Experten für die Vermittlung von Sprechkunst galten. Ab der zweiten Hälfte des 16.Jahrhunderts sind bereits einige Beispiele für den Einsatz von Dramapädagogik in europäischen Schulen bekannt: an der Westminster School gab es eine jährliche Aufführung eines englisch- und deutschsprachigen Stückes, das der Verbesserung der Aussprache dienen sollte und auch die Aufführung von Schulspielen zum Zwecke der Latein-Sprachförderung war zu dieser Zeit bereits weit verbreitet. (vgl.Hallet u.a. 2015, S.21 f.)
Dieser kurze Rückblick in frühere Jahrhunderte, soll an dieser Stelle lediglich zeigen, wie weit die Anfänge der Dramapädagogik bereits zurück liegen. Der Fokus im folgenden Unterkapitel soll aber, dem Forschungsinteresse der vorliegenden Arbeit geschuldet, vorrangig auf der Zeit seit 1970 bis heute liegen und damit anhand geschichtlicher Meilensteine die Dramapädagogik als Wegbereiterin einer performativen Fremdsprachendidaktik beleuchten.
Im folgenden Überblick spielt vor allem die britische Dramapädagogik eine Rolle als Bezugsdisziplin für die Fremdsprachendidaktik und nicht etwa, wie man vermuten könnte, die deutsche Theaterpädagogik. Das erklärt sich dadurch, dass diese im Vergleich zum britischen Konzept eine noch sehr junge Disziplin ist, deren Anfänge in den 1970er/1980er Jahren liegt. (vgl. Hallet et al 2015, S. 33)
4.2. Die Dramapädagogik seit 1970 bis heute
Einen wichtigen Einschnitt in der Geschichte der Fremdsprachendidaktik stellte die kommunikative Wende in den 1970er Jahren dar. An dieser Stelle soll kurz erläutert werden, was dieser Paradigmenwechsel für den Fremdsprachenunterricht bedeuten sollte: Bis zu diesem Zeitpunkt war die Schule vor allem eine ‚Lese- und Schreibschule‘, nun sollte sich diese aber immer mehr Richtung ‚Sprechschule‘ wandeln. Für die Fremdsprachendidaktik sollte das vor allem heißen, im Unterricht eine Sprechkompetenz zu erwerben, die auch für den Alltag nutzbar sein sollte. (vgl. Cathomas 2007, S. 180) Zu dieser Zeit gab es bereits einige Publikationen, die sich mit verschiedenen Spielarten beschäftigten – beispielsweise zum Thema „Darstellendes Spiel’ (Macht u.a. 1977), ‘Lern- und Rollenspiel’ (Löffler 1979; Spier 1981), oder ‘Handlungsspiel’ (Lohfert 1983) - die ausdrückliche Anbindung an die Dramapädagogik wird in all diesen Veröffentlichungen aber noch kaum erwähnt. Das explizite Interesse am dramapädagogischen Ansatz wurde erst im Laufe der 1980er größer, welches vermutlich auch durch Veröffentlichungen aus dem englischsprachigen Sprachraum verstärkt wurde, da hier auch die Aspekte der Körperlichkeit, der Emotionen, sowie der Gestik und Mimik Beachtung fanden und man sich damit am britischen Konzept Drama in Education orientierte. Im Jahr 1988 tauchte dann erstmals der Begriff „dramapädagogisch“ in der Zeitschrift ‚Informationen Deutsch als Fremdsprache‘ auf, in dessen Zusammenhang Theorie und Praxis von Bildung mit dem Konzept „Drama“ diskutiert wurde. Während die genannten Publikationen vorrangig als Ratgeber für die Unterrichtpraxis galten oder Spielesammlungen enthielten, ging man in den 90er Jahren vermehrt auf die Verbindung zwischen Drama und Fremdsprachenunterricht ein. (vgl. Schewe 2007, S.5 f) Manfred Schewe trug zu dieser Zeit mit seinem Beitrag „Fremdsprache inszenieren: Zur Fundierung einer dramapädagogischen Lehr- und Lernpraxis“ (1993), maßgebend dazu bei, dass das britische Konzept Drama in Education für die Fremdsprachendidaktik im deutschsprachigen Raum genutzt wurde. (vgl. Schewe 2007, S. 5 f.) In seiner Veröffentlichung, in der er erstmals vom Zusammenhang von Dramapädagogik und Deutsch als Fremdsprache spricht, schreibt er: „Im dramapädagogischen Fremdsprachenunterricht wird mit Kopf, Herz, Hand und Fuß gelernt und gelehrt!“ (Schewe 1993, S.7) und spricht damit an, dass das Lehren und Lernen einer Fremdsprache umso wirksamer ist, umso mehr Lernkanäle angesprochen werden. Den Gedanken von Pestalozzi aus der Einleitung dieser Arbeit, erweitert er um einen Fuß, um damit die Bewegung des ganzen Körpers zu betonen, die durch Dramapädagogik ermöglicht wird – ganz im Sinne von „to think on one’s feet“ (vgl. ebd., S.6) Schewe plädierte damit für eine „stärkere künstlerische Orientierung des fremdsprachlichen Unterrichts“ (Bonnet et al 2011, S.22) und übte Kritik an einem Lehr- und Lernkonzept, in dem die Abläufe im Unterricht nur von den Lehrenden bestimmt, sowie rein kognitive Komponenten berücksichtigt werden, anstatt auch Emotionen, Ästhetik und den Körper miteinzubeziehen. Mit der Dramapädagogik sollte es dahingehend eine Veränderung geben, dass es auch den Lernenden ermöglicht werden sollte, das Unterrichtsgeschehen mitzugestalten – ein Schritt in Richtung eines handlungsorientierten und performativen Fremdsprachenunterrichts. (vgl. Bonnet et al., S.22) Schewe, wie auch wenige Jahre später Elektra Tselikas (1998), erforschte in systematischer Weise als Fremdsprachenlehrer den eigenen Unterricht und rückte die dramapädagogische Fremdsprachendidaktik damit ein Stück weiter in den Blickpunkt. In Sprachkursen an Universitäten und im Rahmen der Aus- und Weiterbildung von LehrerInnen setzte er dramapädagogische Methoden ein und stellte den Unterricht damit als ‚sinnliche Gestaltung‘ und Drama als ‚pädagogische Kunstform‘ dar. (vgl. Schewe 1993) In den folgenden Jahren konzentrierte man sich schließlich weiter auf einzelne Teilbereiche des Fremdsprachenunterrichts, wie beispielsweise Susanne Even (2003) mit ihrem Konzept der Dramagrammatik, das sich auf dramapädagogisches Grammatiklernen fokussierte. Im Kulturbereich war es zum Beispiel Angelika Mairose-Parovsky (1997) die ein Konzept zur Förderung von transkulturellem Sprechhandeln entwickelte oder auch Almut Küppers (2009) mit ihrem Konzept einer interkulturellen Dramapädagogik.
In diesen Konzepten, wie in den beispielhaft genannten, stellen unter anderem auch literarische Texte Impulse für die Förderung von sprachlichem und kulturellem Lernen dar. Wie bereits anfangs dieses Kapitels erwähnt, wurden bereits in frühen Jahrhunderten Stücke in einer Fremdsprache aufgeführt, die sich an Textvorlagen orientierten. Bekannt ist aus dieser Zeit, dass die Lernenden damals durch diese Aufführungen in Bezug auf das Lernen der Fremdsprache, der Literatur und Kultur große Lernerfolge erzielten und die Selbsterfahrungen zudem bedeutsam für die persönliche Entwicklung waren. Seit Beginn der 1990er gab es in Bezug auf literarische Texte im Fremdsprachenunterricht in Verbindung mit der Dramapädagogik eine bedeutende Weiterentwicklung. Schewe nennt hier als Beispiel den Roman ‚Sansibar oder der letzte Grund‘ von Alfred Andersch (1957), der in der Unterrichtsarbeit als Grundlage diente, um Romanfiguren und einzelne Szenen dramapädagogisch nachzustellen. (vgl. Hallet et al 2015, S.26)
Nachdem die Diskussion um das Lehren und Lernen mit dramapädagogischen Methoden also immer lebendiger wurde, wurde im Jahr 2007 die zweisprachige Online-Zeitschrift Scenario.Journal for Drama and Theatre in Foreign and Second Language Education gegründet, seit 2012 existiert dazu außerdem auch eine Scenario-Buchserie. Es finden sich dort verschiedenste Beiträge, die sich mit der Rolle der Dramapädagogik in der Fremd- und Zweitsprachendidaktik, deren Literatur und Kultur befassen. (vgl. ebd., S. 26 f.) Ausgehend von der Forschungsfrage dieser Arbeit, kommt der Nennung dieser Zeitschrift, sowie anderer bereits genannten Literatur, besondere Wichtigkeit zu, da hier der Bedeutungszuwachs, den die Dramapädagogik im Laufe der Jahre erfahren hat, erkennbar wird.
Mit dem Erscheinen von ‚Scenario‘ kann die Dramapädagogik als Ansatz gesehen werden, der sich in der Fremdsprachendidaktik etabliert hat. Obwohl Fremdsprachenunterricht gegenwärtig noch immer mehr Richtung fachsprachliche Ausrichtung tendiert, sich an kontrollierbaren Zielen orientiert und kognitives Lernen im Vordergrund steht, sind durch diesen Ansatz eine Reihe neuer Möglichkeiten für die Unterrichtsgestaltung entstanden. (vgl. Hallet et al 2015 S.25f.) Mittlerweile gibt es im Fremdsprachenbereich außerdem auch eine Reihe von Fachdidaktiken, in denen es um die Sprach-, Literatur- und Kulturvermittlung in Verbindung mit dramapädagogischen Methoden geht. Genannt sei dabei besonders auch der Sammelband ‚Inszenierungen im Fremdsprachenunterricht‘ von Almut Küppers, Torben Schmidt und Maik Walter (2011), der mit seinen Beiträgen auch eine Literaturgrundlage für diese Seminararbeit liefert. Der Sammelband beinhaltet neben Grundlagen, vor allem Vorschläge für dramapädagogische Unterrichtseinheiten und konkrete Praxistipps. (vgl.ebd, S.27) Ein weiterer Hinweis, der darauf schließen lässt, dass sich die Dramapädagogik immer mehr im Unterricht durchsetzen kann, ist das Angebot an dramapädagogischen Formen, das im Unterricht eingesetzt werden kann. Dabei unterscheidet man zwischen Kleinformen in Form von performativen Aktivitäten, die innerhalb einer Unterrichtseinheit umgesetzt werden können und zwischen Großformen in Form von beispielsweise umfangreicheren fremdsprachigen Theateraufführungen. Mittlerweile existieren auch Praxisberichte zu den verschiedenen Klein- und Großformen, wobei aber eine differenzierte Erforschung der Lehr- und Lernprozesse, die mit diesen verbunden sind und sich beispielsweise auf Fertigkeiten wie das Lesen und Schreiben in der Fremdsprache auswirken, noch fehlt. Fest steht jedenfalls, um es mit den Worten von Schewe zu sagen, dass sich die Fremdsprachendidaktik gegenwärtig in einem Strömungsfeld befindet, was bedeutet, dass diese auch vom Paradigmenwechsel, der im Bereich der Künste vom Werk zum Prozess und vom Objekt hin zur Aktion stattgefunden hat, beeinflusst wird. Während sich die Fremdsprachendidaktik in der Vergangenheit fast ausschließlich als wissenschaftliche Disziplin verstanden hat, ist nun also eine stärkere ästhetische und künstlerische Orientierung zu beobachten. (vgl. ebd., 27 ff) Dieser Imagewandel, der in den letzten Jahren in Bezug auf ein performatives Lernen und Lehren begonnen hat, lässt die Dramapädagogik nun nicht mehr als alternative Methode stehen, die nur beschränkt im Unterricht eingesetzt werden kann. (vgl. Kriechbaumer, S. 9)
Aus dem vorangegangenen Überblick wird sehr deutlich, dass die Dramapädagogik vor allem seit den 1990er Jahren zu einer immer bedeutenderen Disziplin in der Fremdsprachendidaktik geworden ist. Die Idee, nicht nur kognitive Aspekte für einen effizienteren Erfolg im Lernprozess zu nutzen, sondern Emotionen, Soziales und Ästhetik gleichermaßen und den gesamten Körper miteinzubeziehen – und damit kann nochmals auf den Beginn dieser Arbeit und Pestalozzis Gedanken zum Lernen mit Kopf, Herz und Hand verwiesen werden – hat an Bedeutung zugenommen und wird immer mehr in den Fremdsprachenunterricht integriert. Im Hinblick auf die Forschungsfrage, die im abschließenden Abschnitt beantwortet werden soll, sind diese Erkenntnisse bedeutend.
5. Zusammenfassung und Ausblick
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es in der bisherigen Geschichte der Fremdsprachendidaktik zahlreiche bedeutende Einschnitte gegeben hat, die den Weg in Richtung mehr Performativität und Handlungsorientiertheit im Unterricht vorangetrieben haben. Nach genauerer Betrachtung des dramapädagogischen Ansatzes und der Verbindung zur Fremdsprachendidaktik, kann nun auch die Forschungsfrage beantwortet werden, die ich an dieser Stelle nochmals wiederholen möchte:
Inwiefern hat die Dramapädagogik zur bisherigen Entwicklung einer performativen Fremdsprachendidaktik beigetragen?
Mit Blick auf sämtliche geschichtliche Meilensteine, kann die Dramapädagogik als sehr bedeutend für die Weiterentwicklung der Fremdsprachendidaktik angesehen werden. Als ein Ansatz, der sich an Künsten, im Besonderen an der Kunst des Theaters, und an der Ästhetik orientiert, besitzt die Dramapädagogik selbst performatives Potenzial und konnte damit dem Fremdsprachenunterricht in den letzten Jahren vielerlei Handlungsmöglichkeiten geben und ein Stück weit wegführen von einem Unterricht, der sich rein nur an Lehrbüchern orientiert und nur von den Lehrpersonen bestimmt wird. Zwar gibt die Lehrperson weiterhin den Rahmen für den Unterricht vor, zum Beispiel indem diese Texte zur Verfügung stellt. Was daraus aber letztendlich entsteht, können die Lernenden maßgebend mitbestimmen, wenn Dramapädagogik zum Einsatz kommt.
Durch Fachbücher zum Thema Dramapädagogik und Fremdsprachenunterricht, die besonders in den letzten Jahren entstanden sind und das Wissen um die verschiedenen Einsatzmöglichkeiten dramapädagogischer Methoden, haben Lehrkräfte heutzutage die Möglichkeit den Fremdsprachenunterricht immer handlungsorientierter zu gestalten und die Vermutung liegt nahe, dass ein performative Fremdsprachendidaktik noch weiter entwickeln werden kann.
Weitere Forschung könnte daher auch an Diskussionen um eine solche Weiterentwicklung
oder gar eine performative Wende in diesem Bereich anschließen. Interessant wäre in diesem Zusammenhang auch zu wissen, wie sehr dabei die Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften eine Rolle spielt und ob es hier von Vorteil wäre, wenn Anwendungsmöglichkeiten von
Dramapädagogik im Unterricht bereits hier gelehrt werden würde.
Literaturverzeichnis
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Surkamp, Hg.: Handbuch Dramendidaktik und Dramapädagogik.WVT-Handbücher
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2 de junio de 2020